Globale Solidarität jetzt! Kriege, Krisen und Klimakatastrophe gemeinsam beenden
Gegenwärtig kämpfen viele Frauen und Menschen aus unterschiedlichen Milieus im Iran gegen das patriarchale und diktatorische Mullah-Regime. Der blanken Gewalt des Sicherheitsapparates setzen immer mehr Menschen im Iran die Forderung nach Selbstbestimmung und einer demokratischen Gesellschaft entgegen. Wir solidarisieren uns mit dem vor allem von den Frauen geführten Kampf für die Realisierung ihrer Menschenrechte.
Unsere Solidarität gilt weiterhin allen Menschen in der Ukraine, die seit acht Monaten dem völkerrechtswidrigen Krieg Russlands ausgesetzt sind. Er bedeutet unermessliches Leid für die Bevölkerung in der Ukraine. Die Ukraine hat selbstverständlich das Recht, sich gegen diesen imperialen Angriff zu verteidigen. Wir solidarisieren uns auch mit jenen mutigen Menschen in Russland, die auf unterschiedliche Weise den Krieg und das nationalistisch-autoritäre System ablehnen bzw. die Unterstützung verweigern.
Vor einem Jahr zogen sich die USA und ihre Verbündeten aus Afghanistan zurück. Binnen weniger Wochen konnte das Frauen- und Menschenrechte verachtende Taliban-Regime seine Herrschaft sichern. Seither werden Frauenrechtlerinnen, Menschenrechtsaktivist*innen, Politiker*innen, Anwält*innen, ehemalige Ortskräfte und viele weitere Personen bedroht oder sind auf der Flucht. Viele von ihnen wurden bereits von den Taliban getötet. Die Bevölkerung verarmt dramatisch und hungert unter der Unfähigkeit der Taliban. Frauen und Mädchen werden buchstäblich weg- und eingesperrt. Was der Dachverband der Migrantinnenorganisationen (DaMigra) in Bezug auf den Iran schreibt, gilt ebenso in Afghanistan: Die Zwangsverschleierung ist ein totalitäres, patriarchales Werkzeug zur Unterdrückung der Frauen und Mädchen.
Dies sind nur drei Beispiele aus Ländern, in denen der Bevölkerung das Recht auf Unversehrtheit, Selbstbestimmung und freie Meinungsäußerung brutal verweigert wird. Die Liste der Länder, in denen Frauen, Aktivist*innen, Bevölkerungsgruppen auf Frieden, Freiheit und Sicherheit hoffen bzw. dafür kämpfen, ist lang: Äthiopien, Jemen, Syrien, Demokratische Republik Kongo, Nigeria, Kamerun, Westsahara, Kurdistan, Myanmar, Mexico, Honduras, Nicaragua und viele weitere Regionen der Welt. All diesen Menschen in Kriegen, Konflikten und Diktaturen weltweit gilt unsere Solidarität und Empathie!
Nationalistische und imperiale Ideologien wie auch autoritäre Systeme basieren auf patriarchalen Strukturen
Wir sagen deutlich: Gewalt und Krieg sind eine Strategie des Patriarchats zur Aufrechterhaltung oder Durchsetzung männlicher Herrschaftsinteressen. Auch Nationalismus, rassistische und extremistische Ideologien, Autoritarismus und Diktatur sind patriarchale, von Männern geprägte Herrschaftsformen. Die Mullahs und Taliban, Putin und Assad sind hier nur die Spitze und austauschbare Repräsentanten dieser gewaltsamen Herrschaftsformen bzw. -systeme.
Als eine globale und solidarische Antwort auf diese gewaltsame Herrschaft erscheint uns ein Feminismus, der Mehrfachdiskriminierung berücksichtigt und sich gegen unterschiedliche Unterdrückungssysteme gleichzeitig wendet sinnvoll, weil er die Überwindung aller Unterdrückungssysteme fordert (Paola Salwa Daher).
Keine Doppelstandards in der EINEN WELT!
Globale Solidarität bedeutet für uns zudem, dass wir überall mit den gleichen Augen, dem gleichen Verstand und Herzen hinschauen und weder Doppelstandards noch Rassismus, Nationalismus, Sexismus oder Klassismus dulden. Der Krieg Russlands in der Ukraine hat z.B. Asymmetrien der Rechte und Wertigkeit offenbart. Der von Russland begonnene Krieg war mitnichten der erste völkerrechtswidrige Krieg in der jüngsten Geschichte. Der von den USA und der „Koalition der Willigen“ geführte Krieg im Irak, die Luftschläge in Libyen, der Angriffskrieg in Afghanistan 2001 und die Bombardierung von Serbien und Montenegro waren allesamt ebenfalls völkerrechtswidrig. Niemand ist jemals für diese Angriffe juristisch verfolgt worden. Diese Doppelmoral lehnen wir ab!
Im Kontext des Krieges Russlands in der Ukraine wurde zudem der historische und strukturelle Rassismus in Europa sichtbar. Einerseits ist die Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten in Ländern wie Polen, Tschechien, dem Baltikum und Deutschland beeindruckend. Andererseits wurden Schwarze Menschen, Roma und Sinti und Nicht-Ukrainer*innen, die fliehen, von ukrainischen und polnischen Grenzern sowie von der deutschen Bundespolizei zurückgetrieben, eingesperrt und rassistisch behandelt. Globale Solidarität bedeutet jedoch, dass alle Menschen, die fliehen müssen, ein Recht auf Schutz haben!
Globale Solidarität heißt, die Konsequenzen von Krieg und Klimawandel für die Gesellschaften des Globalen Südens auf die Tagesordnung zu setzen
Wir schließen uns dem Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO) mit seiner Stellungnahme „Sicherheit kann nur weltweit und mit zivilen Mitteln hergestellt werden“ an. Dort heißt es auch, dass der Krieg in der Ukraine bzw. die internationale Aufmerksamkeit im Umgang mit Russlands Krieg die Sicherheitsbedürfnisse in anderen Weltregionen nicht „verdecken“ darf. Vielmehr müssen die katastrophalen Folgen des Krieges für den Globalen Südens gesehen und dagegen auf internationaler Ebene entschieden gehandelt werden. Bereits bestehende Konfliktlagen werden durch diesen Krieg noch verschärft. Zu Beginn des Krieges haben z.B. die Ausfälle in der Weizen- und Getreideversorgung in der Ukraine und in Russland sowie die Blockade der ukrainischen Weizenexporte durch Russland zu Versorgungsproblemen und Preissteigerungen unter anderem im Libanon, Äthiopien und weiteren Ländern geführt.
Die internationale Politik muss sich schnell und ernsthaft damit auseinandersetzen, dass die Klimakatastrophe mit Dürren und Überschwemmungen, die Spekulationen auf Nahrungsmittel und Anbauflächen, die Auswirkungen der Corona-Pandemie, der Preisanstieg bei Düngemitteln und industriellem Saatgut sowie das Ausbleiben von Hilfsgeldern die Situation der Ärmsten der Armen weltweit dramatisch verschärfen.
Hinzu kommt, dass Russlands Krieg in der Ukraine die eigentlich dringend erforderliche Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen den Klimawandel unterminiert. Wir befinden uns im letzten Jahrzehnt, um das lebensnotwendige 1,5-Grad-Ziel zu halten. Statt sich dieser größten globalen Herausforderung umfänglich widmen zu können, befeuert der Krieg durch die irrsinnigen Emissionen und weiteren Umweltzerstörungen die Verfehlung des 1,5-Grad-Ziels! Dass nun die EU in dieser durch den Krieg losgetretenen Energieunsicherheit auf fossile Energieträger und Atomstrom setzen, wird den Ausstoß klimaschädlicher Gase weiter ansteigen lassen.
Wir, entwicklungspolitische Vereine, Einrichtungen und Initiativen, die sich ehrenamtlich und hauptamtlich mit diesen und weiteren Fragen beschäftigen und in großer Sorge sind, fordern:
Von unseren entwicklungspolitischen Verbänden: Unsere Aufgabe und unser Beitrag ist es, konkrete Vorschläge, Instrumente und Wege zu diskutieren, wie wir durch globale zivilgesellschaftliche Solidarität dazu beitragen, lokale Kämpfe und Bestrebungen nach Selbstbestimmung deutlich wirksamer als bislang zu unterstützen. Sehr viel entschlossener und umfänglicher müssen wir beim Schutz des Planeten und der Menschheit auftreten. Aufgabe der Verbände ist es jetzt, für diese Suchbewegungen und Diskussionsprozesse die Rahmenbedingungen, Foren und inhaltlichen Vorbereitungen bereitzustellen, Kräfte zu bündeln und größere zivilgesellschaftliche und politisch wirksame Allianzen einzugehen!
Vom Auswärtigen Amt & BMZ: Feministische Entwicklungszusammenarbeit und feministische Außenpolitik sind weder ein Sticker zum Anheften noch dienen sie zur Verschleierung tatsächlicher Machtverhältnisse bzw. des Status quo. Eine auf Konfliktprävention und -transformation sowie auf globale Gerechtigkeit, Diplomatie und Dialog setzende intersektional-feministische Politik muss genuin die Perspektiven der Menschen, Expert*innen und Aktivist*innen aus dem Globalen Süden gleichwertig einbeziehen. Es geht hierbei um nicht weniger als das politische Projekt und die Ambition, alle Kriege und gewaltsamen Krisen konstruktiv und friedlich aufzulösen. Hierbei müssen die Interessen und existenziellen Notwendigkeiten der Menschen in den Gesellschaften des Globalen Südens endlich gleichberechtigt gegenüber denen des Globalen Nordens berücksichtigt werden. Gemeinsam müssen wir uns den globalen Herausforderungen von Klimawandel, Energie- und Ernährungskrisen sowie sozialer und Geschlechtergerechtigkeit widmen.
Von der Bundesregierung: Sie muss in ihrem gegenwärtigen politischen Handeln in Reaktion auf Russlands Krieg in der Ukraine auch die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen auf die Länder des Globalen Südens relevant berücksichtigen. Die Verteidigung von Menschenrechten, Freiheiten und dem Leben der angegriffenen Menschen in der Ukraine ist existenziell. Aber ebenso relevant ist es, sich mit der dramatischen Verschärfung von Armut, Hungersnöten und Überlebenskämpfen der Menschen in den Ländern des Globalen Südens auseinanderzusetzen. Wer bereit ist, 100 Mrd. Euro Sondervermögen für die Bundeswehr bereitzustellen, der muss dann auch dazu bereit sein, mindestens die gleiche Summe für die Rettung von ca. 300 Millionen Hungernden einzusetzen. Eine Stärkung der humanitären und solidarischen Arbeit, die auch auf Menschenrechte und Gerechtigkeit fokussiert, ist notwendig.
Von der internationalen Gemeinschaft: Das im 20. Jahrhundert entwickelte Konzept der „Menschlichen Sicherheit“ und die Lebensrealitäten aller Menschen gehören in den Mittelpunkt internationaler Anstrengungen, um nachhaltig friedlichere Gesellschaften aufbauen zu können. Die Sicherheitsratsresolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ und deren Folgekonventionen, die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) müssen bedingungslos umgesetzt werden. Bei Friedensverhandlungen müssen intersektionale Genderperspektiven zentral vertreten sein. Alle in Kriegen und gewaltsamen Konflikten sowie in Gewaltherrschaften begangenen Menschenrechtsverletzungen müssen dokumentiert und geahndet werden. Es kann und darf keine Kompromisse und Doppelstandards bei der Frage der Verletzung des Völkerrechts, der territorialen Unversehrtheit und bei der Frage der Menschenrechte geben. Die internationale Gemeinschaft funktioniert nur, wenn das Völkerrecht für alle gleichermaßen gilt. Es muss klar und deutlich sein, dass internationales Recht nicht gebrochen werden darf und Straffreiheit nicht existiert.